In Italien gebiert die untergehende flüchtlingsfeindliche Politik des scheidenden Innenministers Matteo Salvini ein altbekanntes Ungeheuer: „Kämpfende Verwaltungen“, die sich an keine Normen gebunden sehen, attackieren andere Institutionen, die rechtsstaatlich vorgehen. Die militärische maritime Zollbehörde („Guardia di Finanza“) hat heute gegen die „Mare Jonio“ ein Zwangsgeld in Höhe von 300.000 Euro verhängt und das Schiff beschlagnahmt, nachdem die italienische Hafenbehörde („Capitaneria di Porto“) und die Küstenwache („Guardia Costiera“) der „Mare Jonio“ die Einfahrt und das Anlanden der Geretteten in Lampedusa gestern erlaubt hatten.
Die „Mare Jonio“ hatte noch 31 Gerettete an Bord, die am Tag zuvor teilweise in einen Hunger- und Durststreik getreten waren. Nach Folter in den libyschen Internierungslagern litten sie immer heftiger unter dem „sadistischen Rassismus“ des italienischen Innenministeriums, das sie ausserhalb der italienischen Gewässer blockiert hielt. Nach hochoffiziellen medizinischen Besuchen an Bord kam schließlich die Einfahrt- und Anlandungserlaubnis.
Bereits in den Tagen zuvor hatte die Küstenwache der „Mare Jonio“ mitgeteilt, sie solle sich doch bitte mit über 30 anderen staatlichen Institutionen in Verbindung setzen, die allesamt in unterschiedlichen Funktionen an der Blockade des Schiffs ausserhalb der italienischen Gewässer beteiligt seien. Diese ungewöhnliche Aufforderung war ein Hinweis darauf, dass sich staatliche Verwaltungen weiterhin darauf vorbereiteten, jenseites jeglichen Gesetzes gegen Gerettete und ihre NGO-Retter*innen vorzugehen. Ein anderer Fingerzeig fand sich Tage zuvor im Schreiben an die „Aquarius“, ebenfalls mit Erlaubnis der Anlandung: Dort wurde mit Paragraph und juristischer Sachkenntnis dargelegt, gegen welche nationalen und internationalen Gesetze das 2. Sicherheitsdekret des scheidenden Innenministers Salvini verstößt.
Gegen die Formierung einer „kämpfenden Verwaltung“ reichten gestern Rechtsanwälte, Politiker und Marine-Militärs eine umfangreiche Klageschrift bei der nationalen Staatsanwaltschaft Italiens, beim Menschenrechtskommissariat des Europarats, beim UNHCR und bei der EU-Kommission ein. Der Senator Gregorio de Falco, Mitunterzeichner der Klageschrift, wegen Linksabweichung aus der 5-Sterne-Bewegung ausgeschlossen und Marine-Offizier der Küstenwache, fasst Motiv und Punkte der Klageschrift heute in der „Huffington Post“ zusammen. Das weiterreichende Ziel dürfte neben der Aufhebung der Sicherheitsdekrete und dem Stop der wachsenden Eigenmächtigkeit bestimmter Institutionen auch die juristische Belangung des scheidenden Innenministers Matteo Salvini sein.
Die institutionellen Kämpfe begleiten die derzeitige Regierungsbildung. Die 5-Sterne-Bewegung und der bleibende Ministerpräsident Giuseppe Conte halten an den Sicherheitsdekreten Salvinis fest. Die sozialdemokratische PD bereitet den Neustart des Innenministeriums unter durchaus repressiven Vorzeichen vor. Sollte nicht der innenministerielle Vorgänger Minniti neuberufen werden, stehen Polizeipräfekten für den Posten bereit. Die institutionellen Kreise, denen an einer Neuauflage einer mehr oder minder humanen Seenotrettung im Mittelmeer und an der Wiederherstellung ihrer beruflichen Ehre gelegen ist, werden einen langen Atem benötigen.
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