Aufmerksame Fischer, Bürgermeister*innen und Aktivist*innen stellen in Italien und Spanien fest: Boat-people, die aus eigener Kraft die Meerespassage schaffen, werden nach Polizeikontrollen registriert und in die Hotspots gebracht, aber ihre Ankunft wird nicht mehr den Rathäusern, den kommunalen und staatlichen Statistik-Ämtern und erst recht nicht den nachfragenden Aktivist*innen gemeldet. Darauf machte jüngst der Bürgermeister von Lampedusa aufmerksam. Die Ankunft von Boat-people halte kontinuierlich an, aber man müsse selbst an der Küste und in den Häfen Ausschau halten, um überhaupt noch eine Ahnung von dieser Realität zu bekommen. Aus Andalusien lässt sich Ähnliches berichten.
Da die Regierungen Roms und Madrids die zivilstaatlichen Rettungskräfte aus den Todeszonen zurückgezogen haben und die NGO-Schiffe größtenteils kriminalisiert und an die Leine gelegt sind, gilt dieses Verschwinden aus der Statistik auch für die Ertrunkenen. Für das zentrale Mittelmeer lese man unten die Twitter-Kurzberichte der letzten Tage des Rettungsschiffs „Alan Kurdi“ der NGO „Sea Eye“. Für das westliche Mittelmeer geben der untenstehende Bericht der Tageszeitung „El Pais“ und die verzweifelt-vagen Berichte des Alarmphones sowie der Aktivistin Helena Maleno über verschwundene Flüchtlingsboote Aufschluss. Das spanische „Salvamento Marítimo“ fährt seit Jahresbeginn grundsätzlich nicht mehr zu Rettungseinsätzen in die „marokkanische“ SaR. Spanische kleine Inseln befinden sich zwar längs der marokkanischen Mittelmeerküste von der Meerenge bis hin zur marokkanisch-algerischen Grenze, aber eine spanische Rettung findet in weiten südlichen Zonen des westlichen Mittelmeers nicht mehr statt.
Bekanntermaßen sind das zentrale Mittelmeer und die Meerenge von Gibraltar die dichtestüberwachten Meereszonen der Welt. Aber die militärische Meeresüberwachung meldet keine einzige Schiffskatastrophe. Die einigermaßen verlässliche statistische Zählung der im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge, ob durch Menschenrechtler*innen oder die UNO, ist erst ca. fünf Jahre alt. Mit dem erzwungenen Abzug der berichtenden Quellen aus den maritimen Todeszonen kehrt Europa zum Status Quo Ante zurück: Man weiß vom massenhaften Ertrinkenlassen, aber man kann es wegen fehlender statistischer Quellen abstreiten. Spektakuläre Einzelfälle werden für die Weltöffentlichkeit inszeniert. Im Unterschied zur „australischen Lösung“, die eine absolute Lagerverbringung der Boat-people auf kleine Inseln 1.000 km vor Australien setzt, bildet sich mit dem statistisch nicht mehr erfassten Massensterbenlassen im Mittelmeer und spektakulären Einzelrettungsaktionen eine „europäische Lösung“ heraus.
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